12 February 2010

"Willkommen in Absurdistan: Hegemann für Leipzig nominiert" - Ein Kommentar von Oliver Bottini

Über Qualität kann und soll man streiten. Manche mögen Helene Hegemanns "Axolotl Roadkill" für großartig und literarisch halten, manchen rollen sich bei der Lektüre die Zehennägel hoch. Das ist in Ordnung, denn was gefällt, ist subjektiv – selbst wenn die, denen es gefällt, beeindruckende literarische Geschütze ins Feld fahren, um die behauptete Qualität zu objektivieren (was naturgemäß nicht gelingt).


Über Plagiate dagegen kann und soll man nicht streiten. Seit Tagen weiß man, dass Hegemann sowohl wörtlich bei anderen Autoren abgeschrieben als auch fremde Ideen ungefragt verwendet hat. Wie kann eine exquisit besetzte Jury einen Roman für einen wichtigen Literaturpreis nominieren, wenn ihr bekannt ist, dass die Autorin Urheberrechte verletzt und bei anderen, erst nachträglich benannten Autoren abgekupfert hat?


Dass der Roman vor den Plagiatsvorwürfen auf die Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse gekommen ist – nun gut, das muss man nicht verstehen, aber akzeptieren (s.o.). Die Veröffentlichung der Shortlist jedoch fand am gestrigen Donnerstag (11.2.) statt, als die Plagiate längst nachgewiesen waren. Trotzdem hat die Jury den Roman nicht von der Liste gestrichen, und das ist dreist und skandalös. Man mag seinen Ohren und Augen kaum trauen: Die Jury-Vorsitzende Verena Auffermann rechtfertigte die Entscheidung am Donnerstag gegenüber der dpa damit, dass "'diese junge Frau [...] unserer Auffassung nach extrem begabt'" sei und Hegemanns Verlag bestätigt habe, "dass im Urheberrechtsstreit 'alles einen ordentlichen Weg geht'". (SPIEGEL) Juristisch betrachtet mag das stimmen, falls tatsächlich alle Genehmigungen nun eingeholt und die Urheber adäquat bezahlt werden. Literarisch betrachtet ist diese Aussage ein Armutszeugnis, schließlich lässt sich angesichts der Arbeitsweise der "begabten Autorin" schwerlich nachvollziehen, welche Sätze, Wörter, Figuren, Plots originär ihrer Fantasie entstammen und welche der Fantasie anderer.


Die Jury-Entscheidung bringt den Preise der Leipziger Buchmesse in Verruf, die Jury sowieso, dazu einen Gutteil der Buchbranche mit Verlagen, Agenten und Feuilletonisten – allerorten hört und liest man verschwurbelte Rechtfertigungen, Ausreden, Beschwichtigungen. Plagiat? Ach, alles halb so wild. Und man beginnt im Elfenbeinturm, sich über die Aufregung zu amüsieren – der Skandal als "lustige Abschreib-Affäre" (DIE ZEIT), Hegemann auf einem "lobenswert unordentlichen Pfad" (SPIEGEL).


Ja, habt ihr sie noch alle?


Oliver Bottini

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