katharina schultens über die geschlechter in ihrer lyrik
rasch hingeworfen etwas zur geschlechterproblematik 'in der lyrik' oder zumindest in meiner, in reaktion auf die frage von annina:
0. VORBMERKUNG: 2006 lasen ein freund und ich in einem hildesheimer lyrikseminar mit recht lyrikunkundigen erstsemestern (=letzter kontakt oberstufentrakl) die damals neueren texte (rinck, scho, falb, kuhligk, wagner, jackson, utler,.... etc pp). ganz zu beginn quer ausgewähltes, bewußt ambivalente texte, ohne den/die autor/in zu benennen - probehalber baten wir das seminar zu sortieren, ob der text jeweils von einem mann oder einer frau geschrieben worden sei. trefferquote 90%, würde ich sagen. these: es gibt auch in der lyrik nur wenige, denen man ihr geschlecht nicht an- bzw abliest - das sind übrigens oft die wirklich guten unter uns - und die wiederum sind dann meist so eigen, daß man sie anderweitig erkennt, ton eben.
ums zu personalisieren, denn mich hat das schon unfreiwillig umgetrieben: mir ist mehrfach unterstellt worden, ich beschäftige mich mit 'der geschlechterproblematik'. jetzt von den sachen bis ca 2005 mal abgesehen - diese bitte ausklammern, auch gerade die im artikel verlinkten, die teils von 1998 stammen - war das schlimm für mich insofern, als daß ich spätestens seit meinem studienjahr in den staaten echtes beef etwa mit der feministischen und postfeministischen literatur hatte, die wir dort exzessiv lasen. die bella dann schrieb anlässlich der veröffentlichung von 2006er texten gar etwas über die "beleuchtung des unbehagens der geschlechter" - was vielleicht noch immer nicht falsch war, damals, mich aber latent genervt hat, da mir das, so banal meine sachen manchmal sein mögen, doch zu sehr verflacht.
(dabei muß man manchmal nur einen noch zu deutlich erkennbaren impetus im überarbeitungsprozeß loswerden, und schon ist nichts mehr fix, der text offen in ganz andere richtungen. das nebenbei.)
ich sehe übrigens auch mit schrecken etwaigen (so welche zustande kommen) kritiken zum kommenden buch entgegen, da ich ahne, in welche ecke gerade die herren rezensenten das im zweifel packen könnten, es gibt ja nur zwei: mädchendings und emanzenschranze - und ich meine bzw will in meinen sachen mittlerweile etwas ganz anderes unternehmen, eigentlich nämlich, wenn ich in vielem schon nicht drumherum zu kommen scheine, unterschiedliche herangehensweisen testen - schlagworte:
1. MINNE: klar, texte ÜBER jungs, so wie jungs umgekehrt reihenweise seit jahrhunderten mädchenminne schreiben dürfen - und es eben auch so etwas wie eine jungsschönheit gibt. die aber meist nur von älteren herren beschrieben (von norbert bisky gemalt...) wird, ich kenne wenig ätherisches über jungs, das nicht in den kitsch rutscht - und auch aus dem manuskript hat mir ein freundlich gesinnter lektor jetzt den einzig wirklich geschwärmten jungstext eliminiert, obgleich über mädchen teils weitaus grenzwertigeres veröffentlicht und gelesen wird. nunja. [disclaimer: ich spreche von 'jungs' und 'mädchen' ganz bewußt, nicht von männern und frauen. auch das ist ein symptom.]
2. MASKEN: texte, die das konzept rollenprosa ins lyrische zu übersetzen suchen, vielleicht, per tonfall. da war und ist perspektivwechsel insofern schwierig, als daß es oft bösartig seitliche imitation wird - und die dann in etwas intimeres zu überführen, ohne versehentlich reine parodie zu fahren oder doch umzuschlagen, hmm. woher weiß man denn, will man denn wissen, etc. auch ist mir noch unklar, wie viel einzeltypisierung (inkl. pars pro toto) und wie viel verallgemeinerung - = eine haltung (oder besser: geste?), die ja nicht geschlechtsspezifisch sein muß, auch generation sein kann, siehe symptomatik - anteilig enthalten sind und wie ich das trennscharf kriege. kriegen sollte. daran laboriere ich grad in der überarbeitung des manuskripts, zumal mir diese aufteilungsoption erst vor kurzem klar (gemacht) wurde.
3. GESTEN (prozessual gedacht): hier hab ich den begriff noch nicht, den ich bräuchte - generell gehts da ineinander über. denn das sind dann eher texte, die konzeptionell und auch in der methodik an einem thinking at the edge kratzen, das, was ich unter "bewußtseinsprotokoll" treffend subsumiert finde - da löst sich es auf, aber selbst da tauchen eben die masken von oben wieder auf und ein, denn die legen wir ja im traum bzw. am rand auch nicht ab (zwiebelschalen). improvisierte räume sind das - oft -, temporäre behausung, zelte auf dem kompromiss.
vielleicht geht es mir insgesamt bloß um sprechhaltungen, bzw ob und wie man die überhaupt beanspruchen, einnehmen kann - unterlaufen wäre schon anmaßend?
[disclaimer nr. 2: nicht, daß dieser schnelle versuch mir nun als poetik ausgelegt wird, bitte, dafür ist er zu flach gedacht. es gibt eine antizipierende und nur von einem diplomkomittee je gelesene poetik von 2005/06, die noch extrem von mädchenemphase getragen wird, aber den ausstehenden prozeß schon ganz gut voraussieht, klärung schon vorweg nimmt, ein text, an den ich mal ran müsste - merkwürdig insofern, als daß vieles projeziert wird, das erst mit verspätung dann in texten auftaucht, jahre später - ]
jedenfalls: großen dank an annina für den anstoß, den ich brauchte, um dann doch einmal grobzusortieren.
(ps: gierstabil, im übrigen, ist kein neologismus, sondern ein begriff aus der nautik.)
© dieser text wurde im juni 2010 von katharina schultens für WOAW verfasst. ich bedanke mich herzlich.
1 comment:
ps dazu: mal ganz abgesehen davon, daß ich die ganze queerdebatte und damit die breite auslasse. da wird es nämlich dann richtig spannend - eine mindestens dritte (mädchen, jungs) oder fünfte (mädchen, jungs, männer, frauen) oder wievielte, sovielte geste, ein ganzes variationsfeld von gesten mit eigener validität, ein gesten/haltungsangebot, von denen jede ja offen(er) wäre - die ich 2005 schon mal angedacht bzw zu beschreiben versucht hatte, als denk- und sprechhaltung, exemplarisch zusammengezogen allerdings - das wäre es doch, wohin man eigentlich müsste, um zu offenen texten zu kommen, die auch die masken fallen lassen?
neuste neurobiologie:
http://www.tagesspiegel.de/wissen/das-rosa-gehirn/1853426.html
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