13 July 2011

Eat, pray, läster - Sinnsuche am Wörthersee

Foto: Ich gemacht, auf dem Wörthersee
Jedes Jahr nehme ich mir vor, beim Bachmannpreis nicht zu lästern. Ich möchte über niemanden herziehen, niemandem die literarische Daseinsberechtigung absprechen, niemanden aufgrund spontan erfundener Kriterien schlechtreden. Dieses Jahr scheitere ich schon am Flughafen, fünfzehn Minuten nach der Landung, und ich mache die nächsten Tage auch kaum etwas anderes, denn das Lästern endet selbst dann nicht, wenn das eigentliche Wettlesen schon längst vorbei ist. Genau genommen endet es nie: Kuriose Fälle der Vergangenheit - Vortragsweisen, vermutete Groschenromanauszüge – bleiben ohnehin im Kopf.

Jedes Jahr verpasse ich die Lesung des Siegertextes. Manchmal aus Versehen wie damals bei Tilmann Ramstedt, meistens aber absichtlich wie dieses Mal im Falle Maja Haderlap: Nach ganzen drei Sätzen ihres Textes setzte ich meine Prioritäten auf eine kalte Gurkensuppe auf dem Klagenfurter Benediktinerplatz. Und das, obwohl ich diesen Jahrgang für einen besseren als beispielsweise den letzten hielt. In aller Regel finde ich zehn von vierzehn vorgetragenen Texten schlecht, im Sinne von: wirklich überhaupt nicht gut genug. Wenn das das Beste ist, was die deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu bieten hat, sollte man Sperrbegriffe einführen, alle Fäkalwörter zum Beispiel, deren Verwendung die AutorInnen mindestens für die nächsten zehn Jahre daran hindert, ein Buch zu publizieren, oder sie nach Amerika schicken, damit sie dort lernen, wie gute Dialoge zu schreiben sind.

Und obwohl die Juroren beteuern, stets das „Neue“ zu suchen, stellen sie doch immer nur das Alte zur Diskussion. Es gewinnt zu oft der Ich-erzählte Bericht, am liebsten aus der Perspektive eines Kindes. Aus Liebe zur Kärtner Landschaft könnte ich mit der Entscheidung, der Haderlap diesen Preis zu verleihen, vielleicht leben, aber ich bin am Freitagmorgen zu der absolut unumstößlichen Überzeugung gekommen, dass der mit Abstand beste Text des Jahres von Linus Reichlin verfasst wurde – der es damit nicht einmal auf die Shortlist geschafft hat. Trotz eines erzählerischen Talents, das die Mehrheit der Jury, mit Verlaub, erblassen lassen müsste.

Richard Kämmerlings sieht das auch so, aber vermutlich vor allem aus zu seinem aktuellen Buch passenden marketingtechnischen Gründen. Und sogar die automatische Literaturkritik der Riesenmaschine um Kathrin Passig, selbst Bachmann-Preisträgerin, hat allein anhand vorgefertigter Kriterien erkannt, wem Ruhm und Ehre gebührt hätte; manchmal sind Maschinen kluger Menschen eben doch klüger als kluge Menschen: Reichtum für Reichlin!

Die zweite große Verfehlung neben der Nichtbeachtung Reichlins war die Vernichtung der Antonia Baum, die vermutlich besser in Lumpen und mit kahl rasiertem Schädel angetreten wäre. Hübsche, talentierte junge Frauen scheinen dem Establishment noch immer so suspekt (übrigens sind dies auch Ausschlusskriterien der riesenmaschinellen Auswertung), dass der Unheilsbringer Hubert Winkels, dessen Ruf Antonia Baum gefolgt war, unter einem Donnergrollen aus Hormonstaugerüchten zusammenzucken musste. Ein mutiger Rettungsversuch der Autorin ist in der Online-Ausgabe der FAS abrufbar: Wie ich einmal vorlas.

Der Einzige, dem ich seinen Preis so richtig gönne, ist Steffen Popp, ein Lyrikerkollege aus alten Zeiten und außerdem ein wahrer Stipendiums- und Preismagnet. Trotz seines nölenden Vortrags wurde Steffen Popp der zweite Preis verliehen, der womöglich sogar besser ist als der erste. Es bleibt einem jede Menge Öffentlichkeitsarbeit erspart, und man kann sich schneller wieder ent-arrogantisieren.

Auch Thomas Klupp, der mir aus einer früheren Begegnung sehr nett in Erinnerung geblieben ist, wird sich hoffentlich von seinem Publikumspreis für einen viel zu effekthascherischen Text erholen. Neider munkeln, dass ihm diese Ehre lediglich aufgrund seiner guten Vernetzung unter Gleichaltrigen anheim gefallen sei, was das Prozedere eher zu einem Beliebtheitswettbewerb verkommen ließe. Nicht missverstehen, ich habe sein Debüt Paradiso wirklich sehr gerne gelesen. Warum nur immer diese lachergeile Ficken-Fotze-Kotze-Parabel, die heutzutage nicht nur alle Lesebühnen-, sondern auch alle Coming of Age-Texte ruiniert wie eine einzige Diddl-Maus eine komplette Wohnungseinrichtung?

In der Tat ist Lästern das A und O einer Veranstaltung wie derjenigen in Klagenfurt. Ohne Lästerei keine Jury-Besprechungen, keine journalistischen Kommentare wie dieser, keine Konkurrenz. Selten gibt es Gelegenheit, mit so vielen Experten dieselben Texte zu diskutieren, und noch seltener ist zu erwarten, dass alle Beteiligten dabei einer Meinung sind. Der Sinn einer solchen Veranstaltung kann daher nicht sein, zarte kreative Seelen in Watte zu packen, sondern liegt im Gegenteil darin, das sich selbst erhaltende System aus Autoren, Juroren, Verlegern und Agenten in Frage zu stellen. Und zwar mit Menschen und Texten, die zum Lästern so was von einladen – aus welchen Gründen auch immer.